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Das Jahr 2016 begann mit einer Lesung an einem Ort, der auch für uns ungewöhnlich war: in einem Beerdigungsinstitut. Am 19. Februar las Werner Haßenkamp in Bocholt im Beerdigungsinstitut Wroblowski aus Alan Bennetts Erzählung Handauflegen, einer herrlich schrägen Geschichte über den Gedenkgottesdienst für einen verstorbenen Masseur, der etliche Damen und Herren der anwesenden feinen Trauergesellschaft nicht nur mit seinen physiotherapeutischen Künsten beglückt hatte. In einer Umgebung, in der sonst eher traurige Gefühle vorherrschen, machte der Vorleser durch seine gewohnt souveräne Art des Vortrags mit passendem ironischem Unterton den Abend für alle Anwesenden zu einem vergnüglichen Hör-Erlebnis.
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Weiter ging es im Frühjahr mit einer Lesung im Borkener Stadtmuseum. Am 3. April fand dort die Finissage einer bemerkenswerten Ausstellung mit Zeichnungen des expressionistischen Malers Ernst-Ludwig Kirchner statt. Passend dazu las Doro Waskönig Die Ermordung der Butterblume, eine Erzählung des Kirchner-Zeitgenossen Alfred Döblin, die als Schlüsseltext des gesamten Expressionismus gilt.

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Sommerzeit - Gartenzeit! Am 28. August war die Leselust zu Gast im Garten der Familie Fritz-Hummelt. Michaela Poschmann las aus dem Buch Erwin, Mord und Ente von Thomas Krüger. Erwin, der vermeintlich zurückgebliebene Sohn des verstorbenen Dorfpolizisten, und seine treue Laufente Lothar führen ein gemächliches Leben im kleinen Dorf Bramschebeck, bis sie eines Tages durch einen Knochenfund auf die Spur eines rätselhaften Kriminalfalls geraten. Der Vorleserin gelang es ausgezeichnet, den lakonischen, norddeutsch drögen Tonfall des Protagonisten zu treffen, was den Zuhörern und Zuhörerinnen sichtlich Vergnügen bereitete. Angelehnt an den Buchtitel gab es dann in der Pause zu Kaffee und Prosecco Entengrütze und StudEntenfutter (grünen Wackelpudding und Zimtschnecken).

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Unsere Vorlesewoche Leselust am anderen Ort fand vom 19. bis 24. September statt. Das Thema lautete diesmal Ogottogott. In allen ausgewählten Büchern spielte das Thema Religion eine Rolle, wobei sich der Bogen vom Judentum über den Islam bis zum Christentum spannte und so bekannte Persönlichkeiten wie Martin Luther, der Papst oder der Teufel auftauchten. Dank der Gastfreundschaft von Gerda Siebelt durften wir die Galerie Open Art während der gesamten Woche als Veranstaltungsort nutzen. Dort war am Sonntag eine Ausstellung mit Arbeiten des Künstlers Jürgen Rahn eröffnet worden. So konnten die Zuhörer und Zuhörerinnen neben der Literatur auch die ausgestellten Landschaftsbilder genießen.
Den Auftakt bildete am Montag Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung. Ort und Zeit der Handlung: Frankreich im Jahr 2022. Ein charismatischer muslimischer Politiker wird Präsident; die Verfassung wird geändert und Scharia und Polygamie werden eingeführt. Dr. Klaus Cordes las nicht nur gekonnt vor, sondern bot den Anwesenden darüber hinaus auch eine Fülle von Informationen über den Schriftsteller und sein Werk.

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Am Dienstag las Michaela Poschmann aus Englischer Harem von Anthony Mc Carten. Erzählt wird die Geschichte der jungen Londonerin Tracy, die eines Tages ihren Eltern mitteilt, dass sie heiraten will. Eigentlich nichts Ungwöhnliches, allerdings ist der Auserwählte Perser, er gehört dem Islam an und hat bereits zwei Ehefrauen. Der trotz des ernsten Themas leicht ironische Unterton wurde von der Vorleserin perfekt getroffen.

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Der Mittwoch war unsere Reminiszenz an das bevorstehende Reformationsjubiläum. Wie aus dem ehemaligen Mönch Martin Luther und der entlaufenen Nonne Katharina von Bora ein Paar wurde, das erzählt Fabian Vogt in seinem Buch Wenn Engel lachen. Hinrich Petersen, unser von vielen Zuhörern wegen seiner ruhigen und bedächtigen Vortragsweise geschätzter Vorleser, ließ die handelnden Personen und die Zeit, in der sie lebten, für das Publikum lebendig werden.

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Am Donnerstag las Doro Waskönig aus dem Buch Die Hochzeit der Chani Kaufmann von Eve Harris. Darin geht es um die Geschichte zweier junger Menschen in London im Jahr 2008. Die neunzehnjährige Chani und der angehende Rabbiner Baruch, beide aufgewachsen und fest verwurzelt in streng orthodoxen jüdischen Familien, haben sich dreimal gesehen, sie haben sich noch nie berührt, aber sie werden heiraten. Die Vorleserin ließ durch ihren Vortrag die Zuhörer und Zuhörerinnen nahezu hautnah mitfühlen, mit welchen Ängsten und Konflikten die Hauptpersonen zu kämpfen haben.

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Am Freitag ging es um Die linke Hand des Papstes von Friedrich Christian Delius. Ein in Rom lebender pensionierter Archäologe entdeckt während einer kleinen Ruhepause in einer evangelischen Kirche, dass nur wenige Meter entfernt von ihm das amtierende Oberhaupt der katholischen Kirche sitzt. Dem Ich-Erzähler fällt zuerst die linke Hand des Papstes auf, und die intensive Betrachtung dieser Hand führt zu weitschweifenden Gedankengängen, in denen neben Gaddafi und Berlusconi auch dreißig Berberpferde und achtzig numidische Zuchthengste vorkommen. Werner Haßenkamp machte die vorgelesenen Passagen zu einem unterhaltsamen Hörvergnügen.
Thea Dorns Roman Die Unglückseligen stand am Samstag im Mittelpunkt. Die Autorin erzählt die Geschichte der Molekularbiologin Johanna Mawet, die an der Erforschung des Sterblichkeitsgens arbeitet. Wird es ihr gelingen, das Geheimnis des ewigen Lebens zu ergründen? Wer ist der geheimnisvolle Fremde, der zweifellos 240 Jahre alt ist? Wem gehört die altertümlich sprechende Stimme "aus dem Off", die das Geschehen beobachtet und kommentiert? An diesen Fragen ließen die Vorleserinnen Ulrike Fritz-Hummelt und Doro Waskönig die Zuhörer und Zuhörerinnen teilhaben.

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Für die musikalische Begleitung der Abschlussveranstaltung sorgten Jana und Nelly Hagen, Kathi Schroer, Helen Steinberg und Janna Wirth.

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Letzte Leselust-Aktion des Jahres war die Teilnahme an einer Veranstaltung, die am 23. November in der Martin-Luther-Kirche stattfand. Geplant und vorbereitet von der Evangelischen Kirche zusammen mit der Gleichstellungsstelle der Stadt Borken gab es einen Gottesdienst mit anschließender Lesung zum Thema "Keine Gewalt gegen Frauen". Doro Waskönig las aus dem Buch Altes Land von Dörte Hansen. Darin geht es um die Geschichte zweier starker Frauen: Vera, die kurz vor Kriegsende mit fünf Jahren als ostpreußisches Flüchtlingskind auf einem Obstbauernhof im Alten Land bei Hamburg kommt, und Veras Nicht Anne, die nach der Trennung von ihrem Mann zu Vera aufs Land flüchtet. In der ruhigen Atmospäre des neu gestalteten Innenraums der Kirche lauschte das Publikum gebannt dem Vortrag Frau Waskönigs.

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